Die Sinfonie des Altmeisters

Die Herausforderung für die Ohren war groß: „Heroes“ von David Bowie in einer gebremsten, von Streichern und Bläsern instrumentalisierten Version zu hören, fiel schwer. Der Einstieg in die aktuelle CD „Scratch my back“ des Rockveteranen Peter Gabriel, er wollte nicht gelingen. Dennoch: Das Live-Erlebnis, es sollte, es musste sein. Allein die Skepsis war groß, ob sich einer wie Gabriel, dem immer wieder Wegmarken in der modernen Musikgeschichte gelungen waren, nicht doch verhoben hatte.

Doch was da am Sonntagabend, dem symbolträchtigen 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, auf der Bühne der o2-World passierte, war eine echte Gabriel-Nummer: Muss man ihn künftig den Beethoven der Rockmusik nennen? Gibt es irgend etwas, das nicht zu Gold wird, was der 61-Jährige – zumindest musikalisch – anfasst? Die Bühnenversion von „Scratch my back“ ist eine Sinfonie, die nichts mit den von Popstars immer mal wieder gern unternommenen Ausflügen in die Welt der Klassik (aktuelles Beispiel: Sting) zu tun hat. Ane Brun, die norwegische Liedermacherin und neben Tochter Melanie weiblicher Gegenpart von Gabriel, hatte ein einzigartiges Erlebnis prophezeit. Widerspruch zwecklos.

Brav wie ein Messdiener kommt der kahlköpfige Gabriel auf die Bühne, das Publikum lauscht seinen – selbstverständlich auf Deutsch – gesprochenen einführenden Worten. Die Stimmung hat nichts von einem Rockkonzert, gebannt wie in der Oper sitzt das ergraute Publikum in der Arena. Normalerweise erzählt jeder Song eine kleine Geschichte, sagt Gabriel, fast ein bisschen werbend für seine Idee. Dieses Mal sei es anders, alle Songs zusammen erzählten die Geschichte. Die Geschichte von Liebe, Leben, Tod. No drums, no guitars, hatte es programmatisch geheißen. Wozu, fragt man sich spätestens nach dem dritten Song, braucht es die sonst überhaupt? Die Kraft des New Blood Orchestra, eines eigens gegründeten und mit hochkarätigen Musikern besetzten Orchesters, die großartigen Arrangements ohne jeden Schnörkel und Pathos, haben das Zeug, in die Musikgeschichte einzugehen.

Deutlich anders, doch immer noch der Idee des sinfonischen Werks verhaftet, ist der zweite Teil mit Gabriel-eigenen Klassikern. Unterstützt von den Streichern wird „Mercy Street“ noch dramatischer als schon im Original und „Downside-Up“, wie stets gesungen von Melanie, noch schöner. Bei „Solsbury Hills“ hält es das bis dahin auf den Stühlen rockende Publikum nicht mehr auf den Plätzen. Zum Ende ist es dann doch beinahe so wie wie immer bei Gabriel: laut und rockig. Was die Musiker des New Blood Orchestra aus ihren klassischen Instrumenten herauszaubern, ist nur mit einem Wort zu beschreiben: großartig. Beschwingt, beglückt, durch ein  gefühlvolles Orchesterstück befriedet, geht eine einzigartige Konzertnacht nach drei Stunden zu Ende. Und man möchte dem Briten hinterherrufen: Mehr davon! Ganz schnell! Bitte!

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