Volksaufstand auf Bornholm erzwingt Neuwahlen

Beim Streit um den Namen ihrer neuen Superfähre
lässt die Reederei BornholmerFærgen das Volk abstimmen

Eigentlich war alles klar: BornholmerFærgen, die wichtigste Reederei im Fährverkehr zur dänischen Sonneninsel Bornholm, gibt eine Männerdomäne auf: Seit Jahrzehnten tragen Fähren, die Einheimische und Touristen auf die Insel bringen, Namen starker Typen, wie die der Freiheitskämpfer Jens Kofoed, Povl Anker, Villum Clausen oder Peder Olsen, die Bornholm 1658 mit einem Volksaufstand von schwedischem Joch befreiten. Allenfalls waren noch schöne Plätze auf der Insel wie Hammerodde oder Dueodde als Schiffsnamen genehm.
Bei der neuen Superfähre, die in Australien bereits ihren Stapellauf erlebte, sollte es anders werden: Schon Mitte vergangenen Jahres verkündete die Reederei, dass der Katamaran den Namen einer bekannten Frau des 17. Jahrhundert tragen soll: Leonora Christina.
Die Namenspatronin lebte 1621–1698, bezeichnete sich gern als Lieblingstochter des dänischen Renaissancekönigs Christian IV. und war Gräfin von Schleswig und Holstein. An Bornholm dürfte sie indes wenig schöne Erinnerungen gehabt haben, saß sie dort doch 17 lange Monate im Turm der Burg Hammershus in Festungshaft. Später folgten weitere 22 Jahre Haft in Kopenhagen.
Leonora Christina hatte ihren Halbbruder und Nachfolger ihres Vaters Frederik III. erzürnt, weil sie ihrem Mann, Ex-Reichshofmeister Corfitz Ulfeldt selbst dann noch die Treue hielt, als der längst wegen Hochverrats zum Tode verurteilt war. Leonora wurde dennoch eine Ikone ihrer Zeit, weil sie mit ihren Haft-Erinnerungen ›Jammers Minde, Denkwürdigkeiten der Gräfin Leonora Christina Ulfeldt‹ das erste bedeutende Werk dänischer Literatur nach dem Mittelalter schrieb. Seit 2006 gehört es zum offiziellen dänischen Kulturkanon, dem Kulturerbe des ältesten Königreichs der Welt, in einem Atemzug genannt mit Hans Christian Andersens Märchen oder der Kleinen Meerjungfrau in Kopenhagen.
Nachdem ihr Name für die neue Schnellfähre der BornholmerFærgen ausgewählt wurde, deckte ein Historiker ein pikantes Detail auf: Leonoras Mann wurde verurteilt, weil er Schweden zu einem Krieg gegen Dänemark aufgestachelt hatte, in dessen Folge Bornholm an den damaligen Erzfeind fiel. Das Schiff nach ihr zu benennen sei Verhöhnung jener Freiheitskämpfer, deren Namen die anderen Schiffe der Reederei trugen und tragen.
Bis in die dänische Regierung wurde die Frage diskutiert: Ist Leonora Christina es würdig, einer der größten Doppelrumpffähren der Welt den Namen zu geben? Die Wellen schlugen so hoch, wie sie das Schiff auf der Ostsee hoffentlich nie erleben muss: BornholmerFærgen gab nach und lässt jetzt in einer Volksabstimmung den Namen bestimmen – organisiert und notariell überwacht mit einem Standard, den man einigen Staaten für ihre Präsidentenwahlen gönnen würde: Es soll auf keinen Fall hinterher weiteren Streit geben.
Eins stellte Per Gullestrup, Aufsichtsratsvorsitzender der Reederei, von vornherein klar: „Meines Wissens gab es noch nie einen Frauennamen für eine Bornholm-Fähre. Dafür ist die Zeit jetzt reif. Immer mehr Frauen bekleiden wichtige Positionen in unserer Gesellschaft und so wollen auch wir diesem Trend folgen und bleiben deshalb dabei, dass unsere neue Schnellfähre einen Frauennamen tragen soll“.
Im ersten, bereits abgeschlossenen Wahlgang konnten frei Namen eingereicht werden. Sie sollten weiblich sein und Bezug zu Bornholm haben. Die vier in dieser Runde meistgenannten Namen – Anne Boel, 1652 eine der letzten in Dänemark als Hexen verbrannten Frauen, die weltbekannte Keramik-Künstlerin und Designerin Gertrud Vasegaard (1913–2007), die aus Tasmanien stammende dänische Kronprinzessin Mary, die Gutsbesitzerin und Wohltäterin Marie Kofoed (1760 – 1838) sowie besagte Leonora Christina stehen jetzt bis zum 25. Februar zur Wahl u.a. auf den dänischen Seiten von http://www.bornholmerfaergen.dk (Færgenavn til folkeafstemning). Erreicht in diesem Wahlgang keine der Damen 50 Prozent der abgegebenen Stimmen, wird es einen zweiten Wahlgang mit den beiden bestplatzierten Namen geben.
Zu einer starken Konkurrentin der Königstochter Leonora avancierte Marie Kofoed, eine waschechte Bornholmerin. Sie lebte zwar schon vor 200 Jahren, hat aber die Unterstützung einer munteren Facebook-Gruppe ›Den nye bornholmerfærge skal hedde Marie Kofoed‹ (Die neue Bornholmfähre soll Marie Kofoed heißen). Die reiche Gutsbesitzerin, die zwei wohlhabende Ehemänner beerbte, gilt als Wohltäterin mit großem sozialen Gewissen gegenüber den Bornholmern. Aber wie in der großen Politik: Auch Marie hat einen Makel: Ein Teil ihres Vermögens verdiente ihr Mann in einem wenig bekannten Kapitel dänischer Geschichte, im Sklavenhandel von Afrika in die damals dänischen Karibik-Kolonien Saint Croix, Saint John und Saint Thomas, die heutigen US Virgin Islands.
Pikant ist auch der Name Anne Boel. Die junge Frau hatte als Amme den späteren Freiheitskämpfer Jens Kofoed aufgepäppelt. Der beschuldigte sie zwei Jahrzehnte später der Hexerei, weil auf seinem Familienhof alles schief lief und es für die Pannenserie keine Erklärung gab. Durch seine Anschuldigung wurde Anne verurteilt und auf dem Galgenhügel von Rønne im Juni 1652 verbrannt. Da nach damaligem Aberglauben eine Hexe aber nie allein agierte, riss Kofoeds Anklage noch drei weitere Frauen in den Tod. Den Namen Jens Kofoed trug 1979 bis 2004 eine der Bornholmfähren.
Der neue Katamaran für BornholmerFærgen, um dessen Namen es geht, lief bereits am 28. Januar im australischen Perth vom Stapel. Das 113 Meter lange Schiff, eine der größten kommerziell genutzten Doppelrumpf-Fähren weltweit, wird bis zu 1.400 Passagiere und 357 Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 40 Knoten (etwa 75 km/h) bis zu fünf Mal täglich in jede Richtung zwischen Bornholm und Ystad in Südschweden transportieren. Die planmäßige Überfahrtszeit beträgt etwa 80 Minuten gegenüber zweieinhalb Stunden mit konventionellen Fähren.

(Autor: Hans Klüche für visitdenmark)

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